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05-03-2021
von

Beteiligung der SBV bei der Stellenbesetzung

Der nachfolgende Text ist ein Auszug aus dem "Handbuch der Schwerbehindertenvertretung" von Rechtsanwalt Moritz Sandkühler, welches im Dezember 2022 erscheinen wird.

Das Stellenbesetzungsverfahren und die Beteiligung der SBV hieran gliedert sich in drei Teile:

1. Pflichten des Arbeitgebers vor der Stellenbesetzung

…..

2. Beteiligung der SBV im laufenden Bewerbungsverfahren

a) Über Bewerbungen schwerbehinderter Menschen (oder ihnen gleichgestellter behinderter Menschen) und Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sofort, „unmittelbar nach Eingang“ zu unterrichten.

Erfolgt die Information der SBV nicht, liegt eine Ordnungswidrigkeit nach § 238 Abs. 1 Ziffer 7 SGB IX vor, welche nach § 238 Abs. 2 SGB IX mit einer Geldbuße bis zu 10.000,- € geahndet werden kann.

Darüber hinaus kann die SBV den Arbeitgeber im Wege des Beschlussverfahrens vor dem Arbeitsgericht verpflichten, sie zukünftig im Bewerbungsverfahren ordnungsgemäß zu beteiligen, wobei dem Arbeitgeber zunächst durch einen Hinweis auf § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX Gelegenheit zu geben ist, dass Bewerbungsverfahren zukünftig gesetzeskonform zu gestalten.

Es genügt nicht, der SBV alle eingehenden Bewerbungen elektronisch zugänglich zu machen. Vielmehr muss der Arbeitgeber von sich aus die SBV darüber unterrichten, dass sich auch schwerbehinderte Menschen (oder ihnen gleichgestellte behinderte Menschen) beworben haben. Diese Information muss sich die SBV nicht selbst aus den Unterlagen heraussuchen.[1]

Auch der Arbeitgeber muss nicht sämtliche Unterlagen der Bewerber auf einen Hinweis zu einer Schwerbehinderung überprüfen. Nach der Rechtsprechung des BAG muss eine Bewerberin auf ihre Schwerbehinderung entweder im Bewerbungsschreiben oder an herausgehobener Stelle im Lebenslauf hinweisen. Übersieht der Arbeitgeber einen nicht im Bewerbungsschreiben oder Lebenslauf (sondern in den Anlagen) aufgenommenen Hinweis auf die Schwerbehinderung, liegt keine entschädigungspflichtige Diskriminierung der Bewerberin nach dem AGG vor.[2]

b) Sobald sich ein schwerbehinderter Mensch / gleichgestellter behinderter Mensch beworben hat, ist die SBV im gesamten Bewerbungsverfahren zu beteiligen[3] (§ 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX). Ihr sind dann alle entscheidungsrelevanten Bewerbungsunterlagen, also auch die Unterlagen der Bewerber ohne Behinderung, vorzulegen.[4]

Entscheidungsrelevant im Sinne von § 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX sind diejenigen Teile der Bewerbungsunterlagen, welche für die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers maßgeblich sind und die die Schwerbehindertenvertretung zur sachgerechten Wahrnehmung ihrer Beteiligung im Stellenbesetzungsverfahren für erforderlich halten darf.[5]

Beim Eingang einer großen Anzahl von Bewerbungen ist es der SBV eventuell schon aus rein zeitlichen Gründen nicht möglich, sämtliche Bewerbungsunterlagen zu prüfen. Es spricht nichts dagegen, dass die Vertrauensperson mit dem Arbeitgeber in diesem Fall vereinbart, dass dieser ihr nur die Bewerbungsunterlagen der nicht behinderten Bewerber vorlegt, die er bereits in eine engere Auswahl übernommen hat sowie alle Bewerbungsunterlagen der schwerbehinderten, bzw. ihnen gleichgestellt behinderten Menschen.

c) Wenn sich ein schwerbehinderter Mensch / gleichgestellt behinderter Mensch innerhalb der Bewerbungsfrist bewirbt, hat die SBV das Recht zur Teilnahme an allen Bewerbungsgesprächen, also auch an den Gesprächen mit den nicht behinderten Bewerbern[6], es sei denn, der schwerbehinderte Bewerber lehnt eine Teilnahme der SBV am Vorstellungsgespräch ausdrücklich ab (§164 Abs. 1 S. 10 SGB IX).

Die SBV soll die Bewerbungsgespräche auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber führen. Sie unterliegt in ihrer Amtstätigkeit, zu der auch die Beteiligung an Bewerbungsgesprächen gehört, keinem Weisungsrecht des Arbeitgebers.[7] Es liegt auf der Hand und muss nicht weiter betont werden, dass die SBV dem Bewerber vor diesem Hintergrund im Vorstellungsgespräch auch Fragen stellen kann.[8]

Dieses Recht der SBV auf Teilnahme an Vorstellungsgesprächen kann der Arbeitgeber nicht dadurch aushebeln, dass er – z.B. bei einer internen Stellenausschreibung – mit den Vorstellungsgesprächen mit nicht behinderten Bewerbern bereits vor Ablauf der Bewerbungsfrist mit dem Hinweis beginnt, es hätten sich bislang noch keine schwerbehinderten Menschen beworben.[9]

Zieht der Arbeitgeber gleichwohl Bewerbungsgespräche mit nicht behinderten Bewerbern vor, obwohl die Bewerbungsfrist noch nicht abgelaufen ist, muss er unter Beteiligung der SBV die bereits geführten Bewerbungsgespräche erneut führen, wenn sich binnen der Bewerbungsfrist ein schwerbehinderter Mensch bewirbt. Anderenfalls hätte SBV keine Vergleichsmöglichkeit.[10] Vor diesem Hintergrund ist dem Arbeitgeber anzuraten, den Ablauf der Bewerbungsfrist zunächst abzuwarten, bevor er mit den Vorstellungsgesprächen beginnt.

Besetzt der Arbeitgeber eine Stelle bereits vor Ablauf der Bewerbungsfrist kann sich schon aus diesem Umstand eine nach dem AGG wegen des Versagens einer Chance entschädigungspflichtige Diskriminierung der nicht berücksichtigten schwerbehinderten Bewerber ergeben.[11]

d) Die hier aufgeführten Beteiligungsrechte der SBV im Bewerbungsverfahren gelten auch dann, wenn der Arbeitgeber auf die Ausschreibung einer zu besetzenden Stelle verzichtet und sich ein schwerbehinderter Mensch auf die Stelle bewirbt oder der Arbeitgeber bei interner Stellenbesetzung einen schwerbehinderten Mitarbeiter in seine Auswahlentscheidung ohne Bewerbung einbezieht.[12]

e) Die Beteiligungsrechte der SBV gelten gleichermaßen bei der Entscheidung des Arbeitgebers über die Entfristung befristet abgeschlossener Arbeitsverträge, solange seine Entscheidung auch die Belange eines schwerbehinderten Mitarbeiters berührt.[13]

f) Wird eine Stelle mit Personalführungsfunktion besetzt, ohne dass sich ein schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Mensch auf die Stelle beworben hat, muss die Schwerbehindertenvertretung nur dann am Besetzungsverfahren beteiligt werden, wenn die Aufgabe besondere schwerbehinderungsspezifische Führungsanforderungen stellt.[14] Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Vorgesetzte für die behinderungsgerechte Einrichtung der Arbeitsplätze (§ 164 Abs. 4 SGB IX) zuständig ist.[15]

g) Der öffentliche Arbeitgeber muss den externen schwerbehinderten / gleichgestellten Bewerber einladen, wenn er die Stelle (auch) extern ausgeschrieben hat. Das gilt sowohl im Fall einer eigenen externen Bewerbung des schwerbehinderten Menschen, als auch im Fall eines Vorschlags durch die Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst (§ 165 S. 3 SGB IX).

Dass der öffentliche Arbeitgeber eine Stelle nur intern ausschreibt, entbindet ihn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht von der Pflicht, interne schwerbehinderte BewerberInnen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.[16]

Das folgt nach der Begründung des Bundesarbeitsgerichts „aus einer am Sinn und Zweck orientierten Auslegung der Norm im Lichte der in Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG sowie in Art. 5 Abs. 3, Art.  27 Abs.  1 und Art. 2 Unterabschnitt 3 UN-BRK getroffenen Bestimmungen.“[17]

Sinn und Zweck der in § 165 SGB IX geregelten Einladungspflicht des öffentlichen Arbeitgebers ist es, schwerbehinderten Bewerbern in jedem Fall die Chance zu geben, den Arbeitgeber in einem persönlichen Gespräch von sich zu überzeugen. Schwerbehinderte Menschen sollen, „da sie tendenziell schlechtere Chancen haben, einen begehrten Arbeitsplatz zu erhalten, und davon auch der öffentliche Dienst nicht ausgenommen ist, nicht schon nach der Papierlage aussortiert werden können.“[18]

Nicht nur anhand der schriftlichen Bewerbungsunterlagen, sondern darüber hinaus auch im persönlichen Gespräch soll sich der Arbeitgeber ein Bild von der Persönlichkeit, Leistungsfähigkeit und Eignung des Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle machen. Das Vorstellungsgespräch stellt zudem ein geeignetes Mittel dar, um eventuelle Vorbehalte oder gar Vorurteile des Vorgesetzten gegen schwerbehinderte MitarbeiterInnen auszuräumen.[19]

Dieser Beweggrund von § 165 SGB IX, schwerbehinderten Menschen durch die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gleiche Bewerbungschancen einzuräumen, besteht nicht lediglich bei extern ausgeschriebenen Stellen, sondern gleichermaßen bei nur intern ausgeschriebenen Stellen[20], so dass ein Vorstellungsgespräch auch bei rein interner Ausschreibung für schwerbehinderte Menschen entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts[21] keineswegs „sinnlos“ ist.

Unterlässt es der öffentliche Arbeitgeber, die schwerbehinderte Bewerberin zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, obwohl sie nicht offensichtlich ungeeignet für die Stelle war, setzt er sich der Gefahr aus, seitens der Bewerberin mit einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG konfrontiert zu werden. Denn das „Aussortieren“ der Bewerberin ohne die Möglichkeit der persönlichen Präsentation in einem Vorstellungsgespräch stellt die Versagung einer Chance im Bewerbungsverfahren und damit eine Diskriminierung nach § 7 AGG dar. Die Bewerberin hat Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren.[22]

Sowohl bei externer als auch interner Stellenausschreibung muss der Arbeitgeber den Bewerber nur dann nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen, wenn diesem die fachliche Eignung offensichtlich fehlt (§ 165 Satz 4 SGB IX). Ob die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, misst sich am vom öffentlichen Arbeitgeber mit der Stellenausschreibung bekannt gemachten Anforderungsprofil,[23] welches im Vorfeld der Ausschreibung festgelegt sein muss.[24]

Hieraus folgt, dass der öffentliche Arbeitgeber einen schwerbehinderten Bewerber auch dann zu einem Vorstellungsgespräch einladen muss, wenn dessen fachliche Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.[25]

3. Abschluss der Stellenbesetzung

….

© Rechtsanwalt Moritz Sandkühler, 2021

Verlinkung erwünscht

.....Fortsetzung folgt im

"Handbuch der Schwerbehindertenvertretung"

Erscheinungstermin im Dezember 2022

https://www.rechtsanwalt-sandkuehler.de/buch-sbv.html


[1] LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.11.2019, 15 Sa 949/19, Rdz. 36

[2] BAG, Urteil vom 18.09.2014, 8 AZR 759/13, Rdz. 35, 36

[3] LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.11.2019, 15 Sa 949/19, Rdz. 38

[4] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Orientierungssatz 1, Rdz. 34; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.11.2019, 15 Sa 949/19, Rdz. 38

[5] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Rdz 38

[6] Hessisches LAG, Beschluss vom 17.03.2016, Leitsatz 1 und Rdz. 52

[7] BAG, Urteil vom 21.02.2013, 8 AZR 180/12, Rdz. 50

[8] BAG, Urteil vom 21.02.2013, 8 AZR 180/12, Rdz. 50

[9] Hessisches LAG, Beschluss vom 17.03.2016, Leitsatz 1 und Rdz. 52, 53

[10] Hessisches LAG, Beschluss vom 17.03.2016, Leitsatz 1 und Rdz. 52, 53

[11] BAG, Urteil vom 17.08.2010, 9 AZR 839/08, Rdz. 42

[12] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Orientierungssatz 1, Rdz. 36

[13] BAG, Beschluss vom 16.09.2020, 7 ABR 2/20, Rdz. 30, 36; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.04.2019, 3 TaBV 724/18, Orientierungssatz 1, Rdz. 73

[14] BAG, Beschluss vom 17.08.2010, 9 ABR 83/09, Leitsatz

[15] BAG, Beschluss vom 17.08.2010, 9 ABR 83/09, Rdz. 21

[16] BAG, Urteil vom 25.06.2020, 8 AZR 75/19, Rdz. 36 zum insofern identischen Inhalt von § 82 S. 2 SGB IX alte Fassung; die gegenteilige Auffassung vertritt allerdings das BVerwG in seinem Urteil vom 15.12.2011, 2 A 13/10, Leitsatz 1 und Rdz. 19

[17] BAG, Urteil vom 25.06.2020, 8 AZR 75/19, Rdz. 36, 37

[18] LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.11.2018, 21 Sa 1643/17, Rdz. 148

[19] BAG, Urteil vom 22.08.2013, 8 AZR 563/12, Rdz. 59

[20] LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.11.2018, 21 Sa 1643/17, Rdz. 148

[21] BVerwG Urteil vom 15.12.2011, 2 A 13/10, Rdz. 22

[22] BAG, Urteil vom 23.08.2012, 8 AZR 285/11, Orientierungssatz 1 und Rdz. 23 zur Diskriminierung wegen des Alters und LAG Köln, Urteil vom 23.08.2018, 6 Sa 147/18, Leitsätze 1 – 6, zur Diskriminierung wegen einer Schwerbehinderung

[23] BAG, Urteil vom 21.07.2009, 9 AZR 431/08, Leitsatz 2 und Rdz. 24

[24] LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.02.2020, 12 Sa 1671/19, Rdz. 41

[25] LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.11.2020, 9 Sa 18/20, Rdz. 82; BAG, Urteil vom 12.09.2006, 9 AZR 807/05, Rdz. 24

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